Expert*innen Interviews

Lust in Langzeitbeziehungen

Warum wird die Lust in Langzeitbeziehungen so oft weniger?

Das hängt damit zusammen, wie unser Gehirn funktioniert. Mit einer/m neuen Partner*in und damit einhergehender Verliebtheit sind wir erst einmal in einem Ausnahmezustand, emotional wie sexuell: Schmetterlinge im Bauch, Glücksgefühle und ständige sexuelle Bereitschaft. Dopamin in rauen Mengen sorgt für das Kribbeln, Oxytocin dafür, dass eine Bindung entsteht und immer weiter gestärkt wird. Die sprichwörtliche rosarote Brille bewirkt dabei, dass nur die positiven Seiten des/der Partner*in wahrgenommen werden.

Aber der Reiz des Neuen und Unbekannten nimmt in dem Maß ab, wie die Person uns immer vertrauter wird, und der Rausch der Verliebtheit lässt ebenso nach. Zum Glück – denn auf Dauer wäre das gar nicht verkraftbar! Aber damit fällt langsam auch die rosarote Brille, und es kommen die Schattenseiten beider Partner immer mehr zum Vorschein.

Wenn es gut läuft, ist zu diesem Zeitpunkt die Bindung ausreichend stark und die Passung gut genug, dass man weiterhin harmonisch zusammenleben kann. Aber die Sexualität wird so gut wie immer weniger häufig und weniger abwechslungsreich. Man kennt einander, man weiß, was dem anderen gefällt. Und es bleibt die ewige Frage: Wie kann man begehren, was man schon hat?

Was kann man gegen Lustlosigkeit in Langzeitbeziehungen tun?

Möglichkeit eins besteht darin, die ausgetretenen Pfade zu verlassen und Dinge zu tun, welche die anfängliche Spannung wiederbeleben und das Prickeln des Unbekannten wieder in die gemeinsame Sexualität holen. Hierfür gibt es vielerlei Möglichkeiten.
Das beginnt damit, sich bewusst Zeit zu nehmen für die Zweisamkeit, Dates zu planen und die Vorfreude zu genießen. Experimentiert aufs Neue mit Stellungen und Praktiken, die ihr ursprünglich mal als durchaus OK, aber eben nicht die absoluten Highlights eingeordnet habt, oder die ein weniger mehr Aufwand erfordern: Wie findet ihr Eiswürfel, Handfesseln, Massageöl? Macht euch füreinander hübsch, geht aus und versucht, den/die Partner*in wieder so zu sehen wie bei der ersten Begegnung.
Vielleicht wollt ihr euch gegenseitig einige eurer Fantasien verraten, vielleicht stecken sogar konkrete Wünsche darin? Ein breites Spektrum an prickelnden Möglichkeiten bieten Sextoys und erotische Kleidung für alle Geschlechter. Manche Paare entdecken erotische Rollenspiele für sich, wo beide in die Rolle einer unbekannten Person schlüpfen.
Die ganz Mutigen fantasieren nicht nur von Sex mit Dritten, sondern treffen sich zum Sex mit anderen Paaren, besuchen Swingerclubs oder öffnen ihre Beziehung. Auch das Machtgefälle im BDSM ist ein Weg, erotische Spannung zu erzeugen: Spiele mit Dominanz und Unterwerfung oder gar mit erotischem Schmerz sind für viele Menschen sehr reizvoll.

Und wenn das nicht reicht? Nach einiger Zeit ist ja das Neue automatisch bekannt.

Das ist nur halb richtig, denn wenn zwischen verschiedenen spannenden Möglichkeiten variiert wird, bleibt die Menükarte bunt genug, um nicht langweilig zu werden. Aber es gibt tatsächlich noch einen zweiten Weg. Dieser funktioniert, indem nicht Spannung gesucht, sondern Nähe zelebriert wird.

Es geht darum, die körperliche und emotionale Intimität intensiver zu erleben und der Lust die Zeit und den Raum zu geben, die sie braucht. Hier gilt der Grundsatz: Weniger ist mehr! Das Begehren entsteht aus der Langsamkeit und aus der intensiven Wahrnehmung des Hier und Jetzt.

Sprecht darüber, welche Berührungen euch gefallen, wann und wo sie euch gefallen und wie ihr das Ambiente am besten gestaltet. Nehmt euch Zeit füreinander, plant den Rahmen für eure sexuelle Begegnung und setzt euch nicht den Orgasmus als Ziel, sondern ein möglichst intensives Erleben der schönen Gefühle, die ihr einander bereiten könnt. Je sanfter und absichtsloser die Berührungen sind, desto mehr Raum ist dafür, mehr zu wollen und Begehren zu entwickeln.

Hierzu noch ein wichtiger Hinweis: Es kann sein, dass leichte und langsame Berührungen euch anfangs langweilig vorkommen oder euch nicht erregen. Das ist völlig normal, wenn man sich bislang immer über intensive Stimulation erregt hat, z.B. kraftvolle Reibung oder Pornos. Euer Lustzentrum wurde sozusagen auf starke Reize trainiert! Ebenso ist es aber auch möglich, es umzutrainieren. Eine Sexualberatung kann euch dabei helfen, an euren Erregungsmustern zu arbeiten und besser ins Spüren zu kommen, damit ihr euch auch den zweiten Weg genussvoll erschließen könnt.