Expert*innen Interviews

Genussvolle Sexualität im Alter

Was sind Vorteile von Sexualität im Alter?

Wann beginnt eigentlich das "Alter" - und was genau ist "Sex" eigentlich? Beide Begriffe sind vage und bieten somit Raum für persönliche, auch positive, Auslegungen: Angefangen bei dem Leitspruch "Du bist so alt, wie du dich fühlst", über die Vorstellung, dass ein intensiver Kuss sich besser anfühlen kann als Sex, bis hin zur grundlegenden Frage: "Möchtest du überhaupt Sexualität in deinem Leben erleben?“

Aus der Verbindung zweier Menschen kann im Laufe der Zeit ein Liebespaar entstehen, später möglicherweise sogar ein Elternpaar, und was kommt, wenn die Kinder das Haus verlassen haben? Es ist eine passende Gelegenheit, die eigene Liebesbeziehung gemeinsam zu reflektieren: Sind alle Aspekte der Liebe gleichermaßen ausgeprägt? Sind da "Sexualität und Leidenschaft", "Intimität und Vertrautheit" sowie "Partnerschaft und Bindung" im Gleichgewicht?

Sexualität im Alter bietet den Vorteil, dass beide Partner*innen ihren eigenen Körper besser kennen als in ihrer Jugend. Möglicherweise sind sie schon „altersmilde“ genug, sich von äußeren Schönheitsidealen zu distanzieren? Stattdessen empfinden sie vielleicht Dankbarkeit dafür, dass ihre Körper noch so gut "funktionieren", selbst wenn gewisse Einschränkungen spürbar sind – aber gibt es die nicht immer im Leben?

Lang gehegte Wünsche, Neues auszuprobieren, können leichter mit der Einstellung "Wenn nicht jetzt, wann dann?" umgesetzt werden – übrigens bleiben erotische Fantasien oft ein Leben lang recht ähnlich…

Wie kann eine erfüllende Sexualität im Alter gestaltet sein?

Eine erfüllende Sexualität im Alter kann zunächst genauso aussehen wie vor 10 oder 20 Jahren – und sie kann zusätzlich bereichert werden, beispielsweise durch mehr Sinnlichkeit.

Vielleicht nehmen sich die Partner*innen mehr Zeit füreinander, fühlen weniger Druck, unbedingt einen Orgasmus erreichen zu müssen, und erleben mehr Intimität, indem sie sich beim Sex in die Augen schauen?

Mehr Zeit und weniger Ungeduld ermöglichen es, tantrische Sexualität zu erforschen: Sinnliche Massagen und Berührungen, die besonders langsam und liebevoll sind. Mit der aufsteigenden sexuellen Energie kann man Sex haben oder einfach nur den Moment genießen, sich erotisch fühlen und dabei sogar alltägliche Dinge erledigen, wie zum Beispiel die Steuererklärung…

Oder es kann Slow Sex sein, der die Möglichkeit einer weichen Penetration in der bequemen Scherenstellung bietet. Dabei können die Partner*innen Oberkörper und Gesichter berühren und die Genitalien einfach aufeinander reagieren lassen. Fast ein bisschen so, als würde man ihre Unterhaltung belauschen und dabei still, ruhig und genussvoll zuhören.

Welche Herausforderungen können bei Sexualität im Alter auftreten?

Im Alter können körperliche Einschränkungen häufiger auftreten. Beispielsweise Erektionen, die nicht mehr ganz so leicht oder ganz so stabil sind oder Veränderungen der Schleimhäute in der Vagina. Es ist sinnvoll, Beschwerden ärztlich abklären zu lassen und es ist gut, gute Ärzt*innen zu kennen! Auf der medizinischen Seite ließe sich dann besprechen, ob Viagra eine attraktive Idee sein könnte oder ob Hormongels und -cremes die Penetration angenehmer machen.

Mindestens genauso wichtig ist es zu klären, ob beide Partner*innen dies wirklich wollen, denn der psychische Faktor spielt immer eine Rolle, ebenso wie die Bereitschaft, mit Einschränkungen umzugehen.

Das Älterwerden ist an sich schon eine Herausforderung, denn es bedeutet, sich mit der eigenen Endlichkeit auseinanderzusetzen. Aber auch dieses Thema begleitet uns eigentlich ein Leben lang, auch wenn es früher vielleicht leichter zu verdrängen war. Heute kann es uns helfen, uns die wichtigste Frage überhaupt im Leben zu stellen: "Was ist mir eigentlich wichtig in meinem Leben?«

Bei der Frage nach der Sexualität im Alter kommt noch ein weiterer Aspekt hinzu: Sexualität ist eines der von der WHO (Weltgesundheitsorganisation) definierten Menschenrechte, die ein Leben lang gelten. Also auch dann, wenn wir im Alter Unterstützung im Alltag brauchen, vielleicht pflegebedürftig werden und nicht mehr alleine leben können. Wie können auch dort Räume entstehen, in denen dieses Menschenrecht auf Sexualität und körperlichen Kontakt gelebt werden kann? Wie lange gesteht die Gesellschaft alten Menschen dieses Recht zu? 

Es gibt einen ersten ambulanten Pflegedienst in Bremen mit dem Schwerpunkt auf Sexualität und geschlechtlicher Vielfalt. »Sexualität und geschlechtliche Identitäten sind keine Themen der Jugend, sie sind wichtig für alle Altersgruppen. Deshalb braucht es ein Pflegeangebot, das diese Themen enttabuisiert und selbstverständlich in den Pflegeprozess integriert. Unser Ziel ist es, eine Pflegerealität zu erschaffen, in der jeder Mensch sich gut aufgehoben fühlt.«