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Was ist gute Berührungsqualität – und warum ist sie so wichtig?

Was bedeutet für dich gute Berührungsqualität in einer Partnerschaft?

Gute Berührung erfordert Präsenz mit dem ganzen Wesen, nicht nur mit der Hand. Sie entsteht aus innerer Haltung, nicht aus Technik. Berührungen offenbaren oft mehr über Beziehungen, als den Beteiligten bewusst ist.

In meiner Praxis erlebe ich oft Paare, die sich körperliche Nähe wünschen, aber sich emotional eher distanziert fühlen. Dann wird Berührung zur leeren Geste, manchmal sogar zur Pflicht. Gute Berührung bedeutet hingegen: Ich bin wirklich da, nehme mein Gegenüber wahr und lasse mich berühren – innerlich wie äußerlich.

Es beginnt mit der Frage: Warum berühre ich? Suche ich Kontakt, Nähe oder erwarte ich etwas, ohne es auszusprechen? Viele Paare erkennen erst im Gespräch, wie viel Erwartung oder Unsicherheit in ihren Berührungen steckt. Gute Berührung erfordert eine bewusste Entscheidung und den Mut zur Langsamkeit. Sie wirkt nicht durch „Tun“, sondern durch echtes „Da-Sein“. Das lässt sich trainieren – auch nach vielen Jahren Beziehung.

Woran erkennt man denn, ob eine Berührung wirklich „gut“ ist?

Eine gute Berührung fühlt sich nicht nur für den Empfangenden angenehm an – sondern auch für die Person, die sie gibt. Sie ist frei von Druck, frei von einem Ziel, und sie lässt Raum für Resonanz.
Ich arbeite gern mit vier einfachen Grundqualitäten, an denen man eine gelungene Berührung erkennen und üben kann:

  • Präsenz – Bin ich mit meiner Aufmerksamkeit ganz im Moment? Oder schweifen meine Gedanken zum nächsten Schritt, zu einem Ziel oder zu meinen Bedürfnissen?
  • Absicht – Kann ich einfach geben, ohne Erwartungen? Oder knüpfe ich die Berührung an Bedingungen wie: „Ich berühre dich, also erwarte ich etwas zurück“?
  • Tempo – Wie schnell oder langsam ist die Berührung? Raum und Pausen verleihen ihr oft mehr Tiefe.
  • Zuhören mit der Hand – Nehme ich wahr, was beim anderen geschieht? Spüre ich die Reaktion – oder folge ich einem inneren „Programm“?

Wenn eine dieser vier Ebenen fehlt, wird die Berührung schnell mechanisch oder kann sogar als übergriffig empfunden werden, auch wenn sie eigentlich „liebevoll“ gemeint ist. Wenn alle vier Qualitäten da sind, entsteht oft etwas sehr Stilles, sehr Intensives – selbst bei einer ganz einfachen Geste wie dem Auflegen einer Hand.

Wie können Paare ihre Berührungsqualität im Alltag verbessern?

Das Wichtigste ist: Bewusstsein schaffen – und sich Zeit nehmen. Viele Paare berühren sich nur noch nebenbei: beim Hinausgehen, beim Einschlafen, oder mit dem (häufig unausgesprochenen) Wunsch nach Sex. Das ist nicht „falsch“, aber es entsteht wenig Tiefe, wenn Berührung nur als Gewohnheit stattfindet.
Ein guter Anfang ist, sich bewusst Berührungszeit zu nehmen – ohne Ziel. Ich empfehle zum Beispiel eine kleine Übung, die ich auch in Beratungen oft anleite:

  • Setzt euch einander gegenüber oder legt euch nebeneinander.
  • Eine*r legt die Hand auf den Körper des anderen – auf Schulter, Rücken, Oberschenkel, je nachdem, was sich richtig anfühlt.
  • Es geht nicht ums Streicheln, nicht ums „Tun“. Einfach nur da sein.
  • Spürt euren Atem. Bleibt eine Minute. Wenn ihr mögt, schaut euch in die Augen. Dann wechselt ihr.
  • Danach tauscht euch aus: Was habe ich gespürt? Was war anders als sonst?

Diese einfache Übung öffnet oft ganz neue Räume – gerade für Paare, die schon lange zusammen sind. Viele erleben: „Ich habe dich lange nicht mehr so gespürt.“ Oder: „Ich war lange nicht mehr so bei mir selbst.“
Daneben hilft es, im Alltag öfter mal kurz innezuhalten: Berühre ich gerade automatisch? Oder ist da ein Moment von echter Verbindung möglich? Schon eine kleine achtsame Geste kann viel bewirken – wenn sie mit Präsenz gegeben wird.